Er machte sich auf, diese Stadt zu vergessen und die Arbeit, die dort unwiderruflich auf ihn warten würde. Er bemaß seine Möglichkeiten, betrachtete abschätzig seine vier Wände in der Berliner Behausung, packte seinen Rucksack mit dem Nötigsten, sagte Adieu zum täglichen Drumherum seines Lebens und machte sich auf den Weg zu den Feldern….

Donnerstag, der 1. März – Abendliches Ankommen

So, da sitze ich nun hier im Kunitzschen Küchenbauwagen. Ganz früher war er mal der einzige seiner Art. Er stand hier in der Nähe des kleinen Baumes beim Gehöft in seinem rostigen Grün und beherbergte uns etliche Male. Später sind es dann immer mehr Bauwägen geworden. Sie standen auf dem Vorplatz des Hofes. Jeder wollte seinen eigenen haben und sie hatten die unterschiedlichsten Farben und Formen. Sogar eine Dusche wurde angebracht. Es wurde unübersichtlich. Nun stehen hier nur noch wenige dieser Landbehausungen. Amtliche Auflagen ließen sie wieder von dannen tuckeln. Dieser eine Bauwagen, hier an seinem Platz an dem Baum vor dem Hof, der ist geblieben und dient den Raumpionieren – so nennen sich die Menschen hier -  als Küche. A propos, meine Suppe ist gerade heiß geworden. Dem muss ich nachgehen….

Als ich mich in der Berliner Residenz dazu entschloss, mich von dem ganzen Quirl um mich herum und von dem Stress, den ich mir üblicherweise mache, zu erholen, war das hier die optimale Lösung. Ich musste nicht weit fahren und war mitten im Kontrast zur Großstadt. Im Umkreis von vielleicht 5 Kilometern zählt man hier vielleicht knapp 20 Menschen. Wenn ich aus dem grünen Bauwagen heraustrete und etwas lausche, dann höre ich ab und an die Hunde von entfernten Höfen bellen, ich höre die Gänse – sie haben beschlossen, heute am 1. März, wiederzukommen. Es gibt noch das eine oder andere Geräusch, das ich nicht einordnen kann. Wenn ich bei mir zu Hause die Fenster öffne, höre ich die Autos auf der Strasse fahren. Sie rauschen vorbei und nehmen jedem Vogelgesang sein Durchsetzungsvermögen. Hinter mir im Wagen bollert der Ofen. Das Holz hat zwar aufgehört zu knacken, aber noch immer klingt es wie ein kleines Kraftwerk. Das alles wirkt wie akustische Meditation auf mich ein, ich nehme diese Klänge des Landes durch meine Ohren auf, als wären sie ein berauschendes Getränk. Und wie weit ich sehen kann. Entferntes Leuchten. Dort die roten Lichter irgendwelcher Schornsteine. Ein Auto auf der Landstrasse. Weiter hinten strahlt Eisenhüttenstadt, das Werk, der Gichtgasspeicher, auf den ich mehr als 18 Jahre aus meinem Fenster schauen konnte. Doch das alles ist blass und nur Kulisse. Es dominiert der Himmel. Wie viel Himmel es hier draußen gibt! Morgen wird dieser Mond, den die vorbeiziehenden Wolken ab und an freigeben, voll sein. Schon jetzt ist die ganze Ebene vom Mondlicht angestrahlt. Die Felder sind Mondlichtseen. Und hinter der Strasse fließt die Oder dunkel nach Norden. Dahinter ist schon nicht mehr hierzulande – Polska Lubuskie…

Ich habe meine Suppe gegessen und mir dazu einen dieser vielen Strohhüte, die hier rumliegen, auf den Kopf gesetzt, damit meine Haare nicht in die Suppe fallen. Im Sommer halten sie die Sonne davon ab, das Gesicht zu verbrennen aber sie sind, ich habe es hiermit bewiesen, „multitasking“. Zufrieden und etwas stolz auf mein äußeres Zeichen der zunehmenden Einlebung für meine knapp vier Tage allein in Kunitz wollte ich einen Wein aufmachen  - ich habe zwei Flaschen Navarra, Tempranillo mitgebracht – doch ein Korkenzieher ist nirgends aufzutreiben. Nun ist es nicht so, dass hier im Küchenbauwagen wenig Ausstattung zu finden wäre – im Gegenteil, es ist schon wieder soviel, dass es unübersichtlich wird. Stapelweise Teller, Schüsseln, Tassen und ein Haufen von Besteck stehen in dem großen Regal an der Wand, auch Weinflaschen stehen hier noch rum und Dosen aller Art. Dazwischen liegen überall kleine Mäusehaufen; ich bin gespannt, wann ich mal eine zu Gesicht bekomme. Da ich heute gleich neben dem Regal auf dem Boden schlafen werde, hoffe ich inständig, dass sie mir nicht auf das Gesicht kommen. Jedenfalls war in dem ganzen Zeug kein popeliger Flaschenöffner zu finden, was mich erstaunte. Was aber wiederum auch nicht heißt, dass ich jetzt auf dem Trockenen sitze. Der Korken schwimmt zwar nun in der Flasche und der Wein wird davon sicher nicht besser, aber noch schmeckt er ganz wunderbar…

Ich habe wieder Holz aufgelegt und es knistert. Ich bin noch unruhig, merke ich. Mein Magen- Darm- Trakt rebelliert. Es ist nicht die Suppe, da bin ich sicher. Ich werde also bald wieder zum Klo gehen. Das steht neben dem Feld und der kleinen Schafsweide. Die Schafe werden wieder herantraben, neugierig auf den, der da kommt. Es gibt hier draußen auf dem Hof gerade fünf Tierarten. Schafe, Schweine, Ziegen, Vögel und mich. Rehe habe ich auch welche gesehen, doch sie halten sich außerhalb, laufen zu den Wassergräben, die die Felder durchziehen, und trinken. Ich habe die Mäuse vergessen. Doch die kommen später, vielleicht auch gar nicht. Einstweilen rieche ich ihre Hinterlassenschaften im Bauwagen.

Sechs Jahre ist es nun her, dass ich mit einem Freund an der Stelle, wo jetzt das Klo steht, ein Loch gegraben und Pfähle in die Erde gerammt und ein Brett darauf installiert habe, auf das man sich setzen konnte, um sein Geschäft zu machen. Alle werkelten sie irgendwo auf dem Hof. Musik tönte laut aus den Boxen – Jimi Hendrix, „All along the Watchtower“. Damals hatten wir das Dach der Scheune, die noch stand und die als Kuhstall gedient hat, bevor die Flut das Leben hier wegschwemmte, erneuert. Es waren sechs lange und gute Wochen, die wir, das waren nur eine Hand voll Leute, hier arbeiteten und es war keine leichte Arbeit. Wir machten das Haus begehbar, schrubbten den alten Mörtel von den Backsteinen, zogen einen neuen Giebel hoch, deckten das Dach neu, damit es den Winter überlebt und schufen eine Terrasse, auf der ich im letzten Sommer auch schon einmal schlief. Den Garten, der an der anderen, weitaus baufälligeren Scheune anschließt, befreiten wir von Brennnesseln und anderem hüfthoch gewachsenen Gebüsch. Heute ist dort ein großes Beet, auf dem im Frühjahr wieder allerlei angepflanzt werden wird. Ich mache das nicht mehr, es sind nur noch wenige Leute, die sich hier kümmern, ein harter Kern sozusagen. Sie werden das Land kaufen. Bauen dürfen sie einstweilen nicht. Die entsprechenden Ämter stellen sich bislang gnaden- und phantasielos quer. Nichts desto trotz findet auf dem Hof jeden Sommer ein kleines, aber ausgesuchtes Festival statt. Auch ich stand da schon auf der Bühne. Es ist zu dieser Zeit im Sommer ein anderes Kunitz hier draußen. Man kann die Autos nicht zählen, die aus der Umgebung die holperige Strasse hierher fahren und weiter hinten parken. Die Wiese vor dem Hof ist dann vollgestellt mit Zelten. Menschen schwanken auf dem Gelände zur der eingerichteten Bar oder zum
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